Logopädische Therapien im Erwachsenenalter
In jedem Alter können Störungen im Bereich der Sprache, Stimme, des Sprechens oder Schluckens auftreten. Plötzlich bricht die Stimme weg, das Sprechen ist anstrengend, Wortfindungsstörungen treten auf oder das Essen fällt schwer.
Besonders bei neurologisch-degenerativen Erkrankungen (z.B. Parkinson, ALS oder Multiple Sklerose) mit schleichenden und/oder schubweisen Verlauf sind Einschränkungen in der Kommunikationsfähigkeit oder beim Essen typisch und können schwerwiegende Folgen haben.
Aber auch ohne Grunderkrankung führen Wortfindungsstörungen, Stimm- oder Schluckstörungen zur Belastung im Alltag. Nicht selten ziehen sich Betroffene zurück, da sie die Anforderungen des Alltags nicht mehr erfüllen können oder der Leidensdruck zu groß wird.
Die wichtigsten Aufgaben in der Arbeit mit Erwachsenen sind die Steigerung der Lebensqualität und eine verbesserte Teilhabe. Neben einer ausführlichen Anamnese und Befunderhebung sind die individuelle Zielformulierung und Enttabuisierung der Symptome Bestandteile in der Therapie.
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Nach Schlaganfällen ist die Sprache häufig in Form einer Aphasie beeinträchtigt.
In unterschiedlichem Ausprägungsgrad können das Sprachverständnis, der Wortschatz und -abruf, die Aussprache, Grammatik sowie das Lesen und Schreiben betroffen sein.
Betroffenen gelingt es zum Beispiel bei Verständnisstörungen nicht, Wörter, Aufforderungen oder Texte zu verstehen. Auf Wortebene können bedeutungstragende Merkmale nicht mehr unterschieden (z.B. Tasse-Kasse) werden oder es kann zu Wortverwechslungen (z.B. Stuhl statt Tisch) kommen.
Ein weiteres typisches Symptom ist die Wortfindungsstörung. Dem Aphasiker fällt das Wort bzw. die Bezeichnung eines Gegenstandes nicht ein („Es liegt mir auf der Zunge“-Phänomen). Dadurch kommt es zu Unterbrechungen beim Sprechen, zu Satzabbrüchen oder Umschreibungen. Die alltägliche Kommunikation kann leicht bis sehr schwer beeinträchtigt sein.
Grundsätzlich gilt: Je früher und gezielter mit der logopädischen Behandlung begonnen wird, desto besser stehen die Chancen auf eine erfolgreiche Rehabilitation.
Bei Störungen im Bereich des semantischen Wissens müssen Wörter neu erlernt werden. Dazu werden mit Bildern und Gegenständen Zusammenhänge erläutert, die Wortbedeutungen und Wortbilder miteinander verknüpft und in verschiedenen Übungen eingesetzt, damit der gezielte Wortabruf wieder gelingt.
Unter Artikulationsstörungen versteht man die fehlerhafte Aussprache von Lauten oder Lautverbindungen. Das heißt, dass Laute nicht oder an der falschen Stelle gebildet werden. Am häufigsten sind im Deutschen die Zischlaute betroffen. Z.B. wird beim Sprechen des Lautes „S“ die Zunge zwischen oder gegen die Zähne gepresst (häufig als „Lispeln“ bezeichnet).
In der logopädischen Therapie wird die genaue Lautposition erarbeitet. Es finden Übungen im Wahrnehmungsbereich statt, um den neu erlernten Laut isoliert und in Kombination mit anderen Lauten zu bilden und den Unterschied zum alten Muster zu erkennen.
Die Sprechapraxie umfasst die Störung der Planung von Sprechbewegungen. Bei einer Apraxie können notwendige Bewegungen und Merkmale zur Lautbildung nicht willkürlich angesteuert werden. Beim Sprechen selbst kann es zur Abweichung einzelner Lautmerkmale oder zur vollständigen Ersetzung von Lauten kommen, sodass Silben und Wörter falsch ausgesprochen werden. Betroffene zeigen beim Sprechen Suchbewegungen, die Sprechgeschwindigkeit ist vermindert und die Betonung verändert.
Bei einer isolierten Sprechapraxie ist das Sprachverstehen nicht beeinträchtigt, sodass Betroffene einen hohen Leidensdruck haben.
Liegt eine schwere Apraxie vor, werden einzelne Laute, durch Lautgesten und Erarbeitung von Merkmalen, neu erlernt und in Silben und Wörtern trainiert. Leichte und mittelschwere Sprechapraxien setzen bereits auf Silben- oder Wortebene an. Diese werden als Bausteine zum Sprechen verwendet.
Die Dysarthrie ist eine erworbene neurogene Sprechstörung, die durch Schädigung des zentralen oder peripheren Nervensystems verursacht wird.
Sprechmotorik, Prosodie, Rhythmus, Atmung und ggf. Stimme sind dabei in unterschiedlichem Ausmaß beeinträchtigt.
Durch die Läsionen, die in Hirn und in den Sprechmuskulatur versorgenden Nerven auftreten, zeigen sich Symptome wie die eingeschränkte Beweglichkeit von Zunge, Lippen oder Gaumensegel, ein veränderter Stimmklang, eine in Frequenz und Tiefe gestörte Atmung, eine veränderte Artikulation und Sprechmelodie.
Da viele primäre Erkrankungen bei der Dysarthrophonie degenerative Erkrankungen sind, kann nicht immer mit einer vollständigen Rehabilitation gerechnet werden. Die Zielsetzung der logopädischen Therapie umfasst die Verbesserung bzw. Aufrechterhaltung der am Sprechen beteiligten Funktionen. Teilweise muss kompensatorisch gearbeitet werden und es kommen Hilfsmittel aus der „unterstützenden Kommunikation“ zum Einsatz.
Stimmstörungen im Erwachsenenalter können funktionelle (falsche Beanspruchung der Stimme), organische (Veränderungen im Bereich des Kehlkopfes) oder psychogene Ursachen haben.
Betroffene Personen berichten von Anspannung und Anstrengung beim Sprechen, die sogar schmerzhaft werden können. Die Stimme ist wenig belastbar und klingt leise, brüchig, gepresst oder heiser.
Ziel der Behandlung ist die Wiederherstellung einer optimalen stimmlichen Kommunikationsfähigkeit unter Berücksichtigung der individuellen Symptomatik oder Grunderkrankung des Patienten. Dabei setzt die Logopädie in den Bereichen Wahrnehmung, Atmung, Haltung, Körpertonus, Phonation und Artikulation an, um die Stimme wieder optimal zum Klingen zu bringen.
Stottern entsteht fast immer im Kindesalter.
Stotterer im Erwachsenenalter werden von ihrer Symptomatik vermutlich seit langer Zeit begleitet und haben entsprechende Strategien entwickelt, um sich mit den Symptomen oder Situationen, in denen gestottert wird, zu „arrangieren“. Dabei nehmen sie häufig Einschränkungen im Privat- und Berufsleben in Kauf und diese als unabänderlich hin.
Stottern lässt sich auch im Erwachsenenalter gut behandeln. Durch eine gute Stottertherapie kann der Redefluss nachhaltig verbessert werden. Gemeinsam werden die gezeigten Wiederholungen, Dehnungen oder Blockaden analysiert und kategorisiert. Im weiteren Verlauf lernt der Stotternde, anstrengungsfrei auf auftretende Symptome zu reagieren. Die erlernten Inhalte werden in das „In-vivo Training“ übertragen.
Eine weitere Störung des Redeflusses ist das Poltern. Hierbei zeigt sich ein zu schnelles und/oder unregelmäßiges Sprechtempo. Dabei werden meist unbetonte Silben ausgelassen, verschmelzen oder Laute, Silben und Wörter werden so verändert, dass das schnelle Sprechtempo aufrecht gehalten werden kann. Das Sprechen ist phasenweise schwer verständlich. Es kommt zu Satzabbrüchen und Einschüben von Suchlauten. Zusätzlich wiederholen Polterer häufig Silben, Wörter oder Satzteile. Die meisten polternden Menschen wissen zwar, dass sie schnell und undeutlich sind, können ihr Sprechen in den auftretenden Situationen aber nicht kontrollieren.
Bei einer ambulanten logopädischen Therapie in diesem Störungsbereich und ausreichender Eigenmotivation des Patienten kann der Polternde lernen, sein Sprechen situativ zu kontrollieren. Dazu werden Übungen zur Wahrnehmung und zum Umgang mit den persönlichen Symptomen eingesetzt. Im weiteren Verlauf lernt der Polternde verschiedene Sprechgeschwindigkeiten einzusetzen und sein Sprechen zu strukturieren. Die Therapieinhalte werden in das „echte Leben“ übertragen, damit die Therapieeffekte nachhaltig sind.
Je nach Ausprägung und Schweregrad der Hörstörung können bestimmte Laute nicht mehr wahrgenommen werden, da diese in den vom Hörverlust betroffenen Frequenzen liegen. Die Laute werden dann nicht oder ungenau artikuliert. Es kann zu Auslassungen oder einer fehlerhaften Aussprache kommen. Auch hier sind die Zischlaute [s, f, sch] häufig betroffen.
Ebenfalls auffällig können Stimme, Atmung oder Sprachmelodie sein, da sprachliche Feinheiten durch den Hörverlust nicht wahrgenommen oder wiedergegeben werden können.
Ziel der logopädischen Behandlung ist die Annäherung an die korrekte Aussprache der Muttersprache. Methodisch werden unter anderem Übungen zur Artikulation, zur Lautunterscheidung und zum Übertrag in die Spontansprache eingesetzt. Unterstützend wird die Wahrnehmung im Mundraum geschult, um die genaue Position der Lautbildung zu erlernen.
Schluckstörungen treten bei Erwachsenen altersbedingt auf, können aber auch durch neurologische Erkrankungen wie Schlaganfall, Parkinson, Demenz u.v.m. entstehen.
Unbehandelt können Schluckstörungen zu schweren Folgeerkrankungen, wie z.B. einer Mangelernährung, eines Flüssigkeitsmangels, Fieber und einer Lungenentzündung führen.
Neben der direkten Behandlung am Patienten zur Aufrechterhaltung vorhandener Funktionen und der Verbesserung der am Schlucken beteiligten Muskulatur und Bewegungsabläufe, umfasst die Therapie den Kostaufbau und die Kostanpassung, die Beratung bzgl. möglicher Hilfsmittel oder Zusammenarbeit mit Angehörigen und Pflegekräften zur Verbesserung des Essenssettings.
Schluckstörungen können in verschiedenen Phasen des Schluckvorgangs auftreten und betreffen je nach Ausprägung der Störung das Schlucken von Speichel, Essen und Trinken. Dabei stellt die Konsistenz der Nahrung (z.B. Wasser = flüssig, Eintopf = gemischt, Püree = breiig, Apfel = fest) unterschiedliche Anforderungen an den Schluckvorgang selbst.
Das Zerkleinern und Transportieren der Nahrung können ebenfalls Schwierigkeiten hervorrufen. Bei herabgesetzter Sensibilität oder verzögerter Schluckauslösung fließt z.B. das Wasser zu schnell in den Hals und notwendige Schutzmechanismen des Körpers können nicht pünktlich einsetzen.
Beim Verschlucken gelangen Flüssigkeiten oder Nahrung auf den Kehlkopf oder in die Luftröhre und können in die Lunge geraten. Der Körper reagiert normalerweise mit kräftigem Husten, sodass der Fremdkörper herausgehustet wird. Vor allem bei neurologischen Erkrankungen kann das Husten ausbleiben oder nicht effizient genug sein, sodass Erstickungsgefahr besteht.
Myofunktionelle Störungen werden im Rahmen von kieferorthopädischen/zahnärztlichen Behandlungen festgestellt. Es besteht der Verdacht, dass die Zunge beim Schlucken gegen die Zähne oder zwischen die Zahnreihen drückt. Einhergehend mit ungünstigen Angewohnheiten, wie das ständige Ablecken der Lippen, oder in Kombination mit einer fehlerhaften Zungenlage wird die Entwicklung und das Wachstum des Kiefers beeinflusst und es können sich Zahnlücken oder Kieferfehlstellungen bilden oder diese aufrechterhalten.
In der Therapie werden nach ausführlicher Befunderhebung die sogenannten „Habits“ abgebaut, der physiologische Bewegungsablauf beim Schlucken erlernt und die korrekte Zungenruhelage erarbeitet. Die Therapie fordert eine hohe Disziplin der Betroffenen, um das Gelernte konsequent in den Alltag zu übertragen.
Sprachstörungen
- Aphasie
- Störungen auf Lautebene
- Störungen des Wortschatzes
- Störungen der Grammatik
- Störungen des Textverständnisses und der Textproduktion
- Pragmatische Störungen
- Störungen der Schriftsprache
Sprechstörungen
- Störungen der Artikulation
- Stottern
- Poltern
- Audiogene Sprechstörungen
- Sprechapraxie
Stimmstörungen
(Dysphonien)
- Funktionelle Stimmstörungen
- Organisch bedingte Stimmstörungen
- Zustand nach Laryektomie (Kehlkopfentfernung)
Schluckstörungen
(Dysphagien)
- Funktionelle Schluckstörungen (Myofunktionelle Störungen)
- Organisch bedingte Schluckstörungen
Komplexe Störungen
- Autismus
- Dysarthrie
- Hörstörungen
- Rhinophonie/lalie
- Neuro-degenerative Erkrankungen am Beispiel "Morbus Parkinson"