Logopädische Therapien für Kinder und Jugendliche
Bevor Kinder sprechen können, haben sie bereits eine Vielzahl an Entwicklungsschritten gemeistert. Auf dem Weg zum Geschichtenerzähler gibt es für Säuglinge, Klein- und Schulkinder verschiedene Anforderungen in den Bereichen Lauterwerb, Grammatik, Wortschatz und Kommunikation zu erfüllen.
Logopädie greift immer dann, wenn die sprachlichen Entwicklungsschritte verzögert sind, ausbleiben oder nicht in der physiologischen Entwicklung vorkommen. Genau in diesen Bereichen setzt die Therapie an und bietet Ihnen Unterstützung, auch im Kleinkindalter. Das Ausbleiben von Fortschritten oder das Stagnieren auf einer Entwicklungsebene hat meist negative Folgen für das weitere Vorankommen des Sprachsystems, bei Schulkindern auch im Schriftspracherwerb, und kann nicht durch sprachförderndes Verhalten aufgefangen werden.
Es gibt zahlreiche Störungsbilder des Sprachzentrums, welche mittels angewandter logopädischer Therapie behandelt werden können:
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Sprachentwicklungsstörungen (SES) oder -verzögerungen (SEV) können die Kommunikation, das Sprachverständnis, den Wortschatz und die Laut-, Wort,- und Satzbildung betreffen. Meist sind mehrere Bereiche des Sprachsystems gleichzeitig betroffen.
Zum Teil liegen keine erkennbaren Ursachen für eine SES vor. Oft treten sie aber in Kombination mit Hörstörung, anderen Entwicklungsstörungen oder langanhaltender Mittelohrentzündung zum Zeitpunkt der „sprachsensiblen Phase“ (2. und 3. Lebensjahr) auf.
Die Behandlung der SES erfolgt durch ein prozessorientiertes Vorgehen. Je nach Alter und Störungsprofil des Kindes werden indirekte oder direkte Methoden ausgewählt, um den nächsten Entwicklungsschritt im Spracherwerb zu provozieren. Dabei ist ein behutsames Vorgehen notwendig, da die Kinder erfahrungsgemäß ein ausgeprägtes Störungsbewusstsein zeigen.
Unter Artikulationsstörungen versteht man die fehlerhafte Aussprache von Lauten oder Lautverbindungen. Das heißt, dass Laute nicht oder an der falschen Stelle gebildet werden. Am häufigsten sind im Deutschen die Zischlaute betroffen. Z.B. wird beim Sprechen des Lautes „S“ die Zunge zwischen oder gegen die Zähne gepresst (häufig als „Lispeln“ bezeichnet).
In der logopädischen Therapie wird die genaue Lautposition erarbeitet. Es finden Übungen im Wahrnehmungsbereich statt, um den neu erlernten Laut isoliert und in Kombination mit anderen Lauten zu bilden und den Unterschied zum alten Muster zu erkennen.
Mit phonologischen Verzögerungen werden Auffälligkeiten bei der Lautverwendung und der Realisation von Silben in Wörtern beschrieben. Sind viele dieser Auffälligkeiten deutlich verzögert und treten weitere Prozesse auf, die in der physiologischen Sprachentwicklung nicht üblich sind, spricht man von einer phonologischen Störung.
Für ein 3-jähriges Kind ist es physiologisch „Tinderdarten“ statt „Kindergarten“ oder „Sule“ anstelle von „Schule“ zu sagen. Das Phonemsystem ist in diesem Alter noch nicht vollständig ausgebaut. Sagt das gleiche Kind „Gach“ anstelle von „Dach“ oder „Ganke“ statt „Danke“ ist dies nicht altersentsprechend und behandlungsbedürftig.
Schwerpunkte der phonologischen Therapie ergeben sich aus dem individuellen Störungsprofil des Kindes. Es werden Übungen zum Erkennen und Unterscheiden von Geräuschen, Lauten und Silben eingesetzt. Dabei werden häufig bedeutungstragende Unterschiede der Laute, wie Tanne/Kanne hervorgehoben.
Bei einer VED ist die Planung bzw. das Programm von Sprechbewegungen gestört. Dadurch können Sprechbewegungen nicht willkürlich und kontrolliert eingesetzt werden. Die Kinder haben noch kein oder ein fehlerhaftes Programm gelernt, um einzelne Laute oder Lautkombinationen zu bilden. Sie zeigen deutliche Suchbewegungen und haben ein hohes Störungsbewusstsein.
Genau an diesen Punkten setzt die logopädische Therapie an. Kleinschrittig werden neue Bewegungsmuster erlernt, um die betroffenen Laute isoliert oder in Wörtern bilden zu können. Bei starken Störungen kann es hilfreich sein, elektronische Kommunikationsmittel unterstützend einzusetzen, damit das Kind eine Möglichkeit hat, sich mitzuteilen.
Störungen im Bereich des Wortschatzes (Semantik/Lexikon) äußern sich entweder dadurch, dass Kinder nicht genug Wörter zur Verfügung haben, sie nicht in Zusammenhang bringen können (z.B. Hund und Katze sind Tiere) oder die Wörter nicht schnell genug abrufen können. Die Symptome werden in passive und aktive Auffälligkeiten unterteilt: welche Wörter das Kind versteht und welche es verwendet. Die Defizite können in allen Wortarten auftreten und unterschiedlich stark ausgeprägt sein.
Kinder mit semantisch-lexikalischen Auffälligkeiten fallen meist auf, wenn sie ungenau beschreiben und häufig Wörter wie „Dings“, „das da“ oder „machen/tun“ verwenden.
Ein großer Teil der Kinder mit einer lexikalischen Störung fällt schon früh durch den verspäteten Sprechbeginn auf. Kinder, die mit 2 Jahren noch keine 50 Wörter sprechen, werden „Late Talker“ genannt. Diese Anzahl an Wörtern ist wichtig, um den sogenannten „Wortschatzspurt“ auszulösen. Besonders bei diesen Kindern muss beobachtet werden, ob wichtige Vorausläuferfähigkeiten zum Spracherwerb verzögert sind oder die Kinder „nur“ noch keine Strategie erworben haben, um sich Wörter anzueignen.
In der Therapie werden exemplarisch Themengebiete behandelt, damit das Kind Strategien kennenlernt, um eigeninitiativ seinen Wortschatz aufzubauen. Durch hochfrequentes Anbieten von Wörtern, deren Bedeutungen und Zusammenhänge lernt das Kind, diese abzuspeichern und wieder abrufen zu können.
Störungen der Grammatik können Wörter und Sätze betreffen. Sie entstehen meist in einer frühen Phase des Spracherwerbs und führen zu langanhaltenden Problemen.
Die Auffälligkeiten sind wenig homogen. Typische Symptome im Satzbau (Syntax) sind der verzögerte Erwerb von Mehrwortäußerungen und Sätzen, das Auslassen oder Vertauschen von wichtigen Funktionswörtern oder Satzteilen oder das starre Verwenden einzelner Satzmuster. Morphologische Symptome kann man an der fehlerhaften Bildung von Subjekt-Verb-Verbindungen (Tom gehst schwimmen), der falschen Artikelverwendung (das Schuh) oder fehlerhaften Mehrzahlbildung (Buch/Büchers) erkennen.
Teilweise können Kinder aufgrund der Störung Sätze und Fragen nicht verstehen, sodass im Alltag immer wieder Missverständnisse auftreten. Unbehandelt können die Symptome auch zu großen Schwierigkeiten in der Schule führen, da z.B. Aufgabenstellungen nicht verstanden werden.
Die Therapie erfolgt immer in der Zone des nächsten Entwicklungsschrittes und orientiert sich am ungestörten Spracherwerb, sodass sowohl Klein- als auch Schulkinder behandelt werden können.
Zeigt ein Kind eine pragmatische Störung, ist es ihm nicht oder schwer möglich, mit anderen in Kontakt zu treten, angemessen auf Fragen oder Aufforderungen zu reagieren, Gespräche zu initiieren oder Bedürfnisse mitzuteilen. Typischerweise zeigen Kinder kaum Blickkontakt, benutzen wenig Gestik oder Mimik und wirken abwesend und wenig aufmerksam.
Pragmatische Störungen treten häufig im Rahmen von Sprachentwicklungsstörungen auf und werden parallel zu weiteren Störungsbildern behandelt.
Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen (AVWS) sind Störungen in der Weiterverarbeitung von Gehörtem. Die Hörleistung selbst ist dabei nicht beeinträchtigt.
Stattdessen fällt es Kindern schwer, Informationen aus Gesprächen herauszufiltern und dabei Hintergrundgeräusche auszublenden. Ähnlich klingende Laute oder Silben (ba-pa) werden nicht als unterschiedlich wahrgenommen. Dies führt auch zu Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb oder zu Missverständnissen im Alltag.
In der Therapie von AVWS wird unter anderem das Lokalisieren von Schallquellen, das Unterscheiden und Heraushören von Lauten oder Wörtern trainiert. Zusätzlich ist die Zusammenarbeit mit den Eltern, Erziehern oder Lehrern dringend notwendig, um die Hörumgebung an die Leistungen des Kindes anzupassen.
Bei zwei- bis sechsjährigen Kindern sind Phasen mit Sprechunflüssigkeiten nicht selten. Meistens sind dies zeitweilige Symptome, die sich zurückbilden. Bei ca. 25% entwickelt sich jedoch ein dauerhaftes Stottern.
Als Kernsymptome werden Laute, Silben oder Wörter gedehnt, wiederholt oder es entstehen Blockaden beim Sprechen. Nicht selten reagieren Kinder mit zusätzlicher Anspannung auf die Symptome, formulieren Sätze um oder vermeiden das Sprechen, um die Symptome zu umgehen.
In der Stottertherapie soll den Kindern und Jugendlichen vor allem die Angst vorm Sprechen und Stottern genommen werden. Es finden Übungen zur Desensibilisierung und Einteilung der Stottersymptomatik statt. Ziel der Therapie ist nicht, dass das Stottern vollständig aufhört, sondern dass das Sprechen ohne Anstrengung und Vermeideverhalten gelingt. Eine intensive Elternarbeit und die Zusammenarbeit mit Erziehern und Lehrern ist notwendig, um das Gelernte auf möglichst viele Sprechsituationen anzuwenden.
Schweres Stottern ist eine Behinderung. Da Kinder und Jugendliche mit starker Stottersymptomatik die gleichen Chancen wie andere Kinder haben sollen, besteht ein Rechtsanspruch auf Nachteilsausgleich in der Schule und Berufsausbildung oder Studium.
Poltern im Kindesalter zeigt sich wie beim Erwachsenen durch ein schnelles und/oder unregelmäßiges Sprechtempo, das die Verständlichkeit deutlich einschränkt. Im Kindesalter tritt Poltern meist in Kombination mit anderen Störungen auf und ist nicht immer klar von diesen abzugrenzen.
Mit polternden Kindern wird in der Therapie an der Anpassung des Sprechtempos gearbeitet.
Stimmstörungen im Kindesalter können durch falsche Angewohnheiten oder Überlastung der Stimme entstehen, ebenso aber psychogene oder organische Ursachen haben. Die Stimme klingt leise oder behaucht und kann den Alltagsanforderungen nicht standhalten.
Eine logopädische Therapie bei Stimmstörungen wird in der Regel erst im Vorschulalter durchgeführt. Neben der Beratung und Anleitung der Eltern werden die Kinder durch spielerische Übungen in den Bereichen Wahrnehmung, Atmung, Haltung/Tonus und Phonation therapiert.
Rhinophonien (Näseln) sind Störungen des Stimmklangs und der Artikulation, die durch eine gestörte Nasenresonanz entstehen.
Grundsätzlich unterscheidet man zwischen offenem und geschlossenem Näseln. Das offene Näseln wird daran erkennbar, dass zu viel Luft bei der Bildung von Lauten entweicht, während beim geschlossenen Näseln keine Luft über den Nasenraum entweicht, was insbesondere bei den Nasallauten (/m/, /n/ und /ng/) deutlich wird.
Die Verständlichkeit der gesprochenen Sprache kann durch eine Rhinophonie bis zur Undeutlichkeit eingeschränkt sein.
Je nach Ausprägung und Schweregrad der Hörstörung können bestimmte Laute nicht mehr wahrgenommen werden, da diese in den vom Hörverlust betroffenen Frequenzen liegen. Die Laute werden dann nicht oder ungenau artikuliert. Es kann zu Auslassungen oder einer fehlerhaften Aussprache kommen. Auch hier sind die Zischlaute (f, s, sch) häufig betroffen.
Ebenfalls auffällig können Stimme, Atmung oder Sprachmelodie sein, da sprachliche Feinheiten durch den Hörverlust nicht wahrgenommen oder wiedergegeben werden können.
Ziel der logopädischen Behandlung ist die Annäherung an die korrekte Aussprache der Muttersprache. Methodisch werden unter anderem Übungen zur Artikulation, zur Lautunterscheidung und zum Übertragen in die Spontansprache eingesetzt. Unterstützend wird die Wahrnehmung im Mundraum geschult, um die genaue Position der Lautbildung zu erlernen.
Myofunktionelle Störungen werden im Rahmen von kieferorthopädischen/zahnärztlichen Behandlungen festgestellt. Es besteht der Verdacht, dass die Zunge beim Schlucken gegen die Zähne oder zwischen die Zahnreihen drückt. Einhergehend mit ungünstigen Angewohnheiten, wie das ständige Ablecken der Lippen, oder in Kombination mit einer fehlerhaften Zungenlage wird die Entwicklung und das Wachstum des Kiefers beeinflusst und es können sich Zahnlücken oder Kieferfehlstellungen bilden oder diese aufrechterhalten.
In der Therapie werden nach ausführlicher Befunderhebung die sogenannten „Habits“ abgebaut, der physiologische Bewegungsablauf beim Schlucken erlernt und die korrekte Zungenruhelage erarbeitet. Die Therapie fordert eine hohe Disziplin von den Kindern/Jugendlichen, um das Gelernte konsequent in den Alltag zu übertragen.
Störungen der Nahrungsaufnahme können vom Säuglingsalter an in jeder Altersstufe auftreten und betreffen (ehemalige) Frühchen, Kinder mit Behinderungen, Entwicklungsstörungen und scheinbar normal entwickelte Kinder. Zu unterscheiden ist dabei zwischen Dysphagien, Orofazialstörungen und Fütterstörungen. Ähnlich wie bei Erwachsenen führen neurologische Erkrankungen zu Dysphagien im Kindesalter.
Die frühkindliche Saug-, Schluck- und Kauentwicklung beginnt mit der Geburt und ist bei gesunden Kindern mit ca. 3 Jahren abgeschlossen. Danach werden die Fähigkeiten nur noch verfeinert.
In dieser Zeit durchläuft das Kind verschiedene Phasen der oralen Ernährung: vom Saugen an der Brust bzw. der Flasche über das Essen von Brei und Fingerfood bis hin zum Kauen fester Nahrung.
Die Fähigkeiten stehen immer in Zusammenhang mit der gesamtkörperlichen und sensorischen Entwicklung. Stagniert das Kind in einer Phase oder kann Übergänge nicht selbstständig überwinden, baut sich nicht selten Druck auf. Die Kinder erleben den Mund- und Gesichtsbereich nicht mehr als positiv. Sie fangen an, Nahrung zu verweigern, zu würgen oder zu erbrechen.
Ein wesentlicher Teil der Arbeit ist die Befunderhebung und Elternberatung. Gemeinsam wird die Essenssituation zuhause und ggf. in Einrichtungen analysiert und die oralmotorischen und oralsensorischen Fähigkeiten des Kindes beurteilt und ggf. therapiert. Darüber hinaus sind der gute Austausch und das interdisziplinäre Arbeiten mit weiteren Therapeuten, Ärzten und entsprechenden Kliniken in diesem Kontext besonders wichtig.
Übersicht der Sprachstörungen bei Kindern und Jugendlichen
Das Tätigkeitsfeld der Logopädie umfasst vier zentrale Störungsbereiche: Sprache, Sprechen, Stimme und Schlucken. Sind mehrere dieser Bereiche betroffen, wird von komplexen Störungen gesprochen, die sowohl bei Kindern als auch im Erwachsenenalter auftreten können.
Sprachstörungen
- Sprachentwicklungsstörungen (SES)
- Störungen des Lauterwerbs
- Störungen des Wortschatzes
- Störungen der Grammatik
Sprechstörungen
- Artikulationsstörungen
- Stottern
- Poltern
- Verbale Entwicklungsdyspraxien
Stimmstörungen
(Dysphonien)
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Funktionelle oder organische
Stimmstörungen
Schluckstörungen
(Dysphagien)
- Funktionelle orofaziale Störungen (Myofunktionelle Störungen)
- Störungen der Nahrungsaufnahme
Komplexe Störungen
- Hörstörungen
- Rhinophonie/-lalie
- Auditive Verarbeitungs- und Wahrnehmungsstörungen
- Mutismus
- Kinder mit Behinderung
- Cerebral bewegungsgestörte Kinder
- Lippen-Kiefer-Gaumensegel-Fehlbildungen